Kinderheim… Teil 1
Das hört sich erst einmal ziemlich brutal an. Wenn ich manchmal überlastete Eltern sagen höre:“ Benimm Dich und sei ruhig, sonst stecke ich Dich ins Heim, möchtest Du das?“ impliziert bei mir diese „Drohung“ zumindest, dass man dem Kind schon ein paar Horrorstories erzählt hat und droht außerdem mit Liebesentzug – da die Eltern ja nicht ins Heim sollen, sondern der ungezogene Nachwuchs. Für ein Kind ist die Vorstellung alleine schon ziemlich erschreckend und brutal, ja einschüchternd. Ich hätte nie geglaubt, dass meine Eltern diesen Schritt gehen würden, dabei sei gesagt, dass meine Mutter mit 4 Kindern, davon ein adoptiertes (ich) ziemlich überfordert war. Vielleicht erzähle ich an anderer Stelle wie es mir dort erging. Soviel sei gesagt: Es ging mir nicht gut dort. Mein Vater packte mich ins Auto und ab ging die Luzzie. Ich landete in einem Heim für „schwer erziehbare Knaben“. Ein von Nonnen geführtes, mit Zivilpersonal aufgefülltes Kinderheim unter der Trägerschaft des Landschaftsverbandes Rheinland und der Caritas. Nun darf ich freudigerweise berichten, dass ich nicht auf dem riesengroßen Gelände des eigentlichen Heimes mit 14 Gruppen á 12 Jungen untergebracht wurde. Ich wurde einer Außenwohngruppe zugeteilt in welcher lediglich 6 Jungs untergebracht waren. Es war ein Haus in dessen Anbau die Besitzerin und gleichzeitig die Gruppenleiterin mit ihrem Sohn wohnte. Der Rest des Hauses war für uns. Ich bekam dort ein Einzelzimmer und ich erinnere mich heute (und nicht nur heute) daran, dass meine Zimmertür nicht von außen abgeschlossen wurde. Das war eine völlig neue Erfahrung für mich. Nicht eingesperrt zu werden. Ich ging in den ersten Nächten immer wieder an meine Zimmertür und drückte die Türklinke herunter und öffnete die Tür ein wenig, nur um sicherzugehen, dass die Tür wirklich, ganz wirklich, nicht abgeschlossen war. sie war es nie. Auf die Frage der Gruppenleiterin, welche mir in den ganzen Jahren eine gute Freundin wurde, warum ich das tue und ich ihr mein Herzchen ausschüttete, starrte sie mich ungläubig an, nahm mich in den Arm und musste sich zusammenreissen um nicht zu weinen. Ich weiß es noch wie heute. Einen Tag später hatte ich einen wöchentlichen Dauertermin beim Psychologen. „Na toll“, dachte ich mir und ging, wie mir geheißen wurde, brav dorthin. Der brachte mich nach den ersten Stunden in einen Raum mit lauter Spielsachen. Unter anderem hing da ein echter Boxsack. Er gab mir Handschuhe und übte ein wenig mit mir. Nach ein paar Minuten rief er Bilder in meinem Kopf hervor und meine Schläge auf den Boxsack wurden härter und härter. Ich schrie vor Wut und schlug weiter und weiter. Bis ich weinend auf den Boden sank. Ich konnte nicht mehr. Er tröstete mich und sagte zu mir: „Ich glaube Du hast schon ewig nicht mehr geweint. Du hast es Dir in deinem Kopf einfach verboten, weil es keine Reaktion darauf gab, oder? Denn wenn es keine Reaktion, kein Trösten gibt dann kann man sich das Weinen sowieso schenken und genau das hast Du getan. Aber ab jetzt kannst Du traurig oder fröhlich sein und das eben auch zeigen, denn das ist wichtig… Für jeden, egal wie alt er ist, verstehst Du?“ Ich habe noch Jahre gebraucht um dies zu verstehen und diese Worte begleiten mich auch heute noch.
In dieser Gruppe gab es eben noch 5 andere Jungs, keiner wie der andere, jeder hatte sein verdammtes Päckchen zu tragen, jeder von ihnen hatte seine eigene Vorstellung von einem zu Hause. Es gab keinen, der nicht gehofft hatte wieder nach Hause zu dürfen, weil seine Eltern ihn doch so liebten. Heute weiß ich, dass es nicht der Wunsch war nach Hause zu kommen. Es war der Wunsch nach Geborgenheit, Anerkennung und elterlicher Liebe. Denn genau das hatten wir alle zu Hause nicht bekommen. Natürlich waren wir keine Engel, lieber Leser und liebe Leserin, wir waren alle das Produkt unseres jeweiligen sozialen Umfeldes. Bekommt man den Umgang mit Geld nicht beigebracht, den Wert von Dingen nicht erklärt dann kann es durchaus passieren, dass das Kind anfängt zu stehlen. Das Erschrecken der Eltern, die sich keiner Schuld bewusst sind, ist dann riesengroß. Das Kind, welches sich in seiner Freizeit selbst überlassen wird, kann durchaus auf die schiefe Bahn geraten und schon in frühen Jahren anfangen zu rauchen, zu saufen oder andere Fehler begehen, da es keinen hat, der es ihm anders gezeigt hätte. Solche Erziehungsfehler schleichen sich ein und sind nur sehr schwer zu korrigieren. Na ja, ich will hier keine Erziehungsratgeber schreiben, es ist lediglich ein Beispiel unter vielen, welches aufzeigt wie man in einem Heim landen kann. Denn in einem Heim landet nur das schwächste Glied in der sozialen Kette und das sind nicht die Eltern oder Großeltern.
Bis hier erst einmal.
Gerne dürft Ihr kommentieren oder Fragen stellen, ich würde mich freuen.
Freric
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