Entzug

Ein Erfahrungsbericht und warum die Leber so gütig ist.

Ein Erfahrungsbericht und warum die Leber so gütig ist.

Ich wurde ziemlich ordentlich mit Medikamenten zugedröhnt auf die Station gebracht, die Türen schlossen sich und ich fand mich in einem Einzelzimmer wieder. Man sagte mir, dass ich mich ins Bett legen könnte bis der Arzt kommen würde. Ich machte mich also bettfertig, da ging auch schon die Tür auf und Dr. S. kam mit seiner Armada im Schlepptau an und stellte mir tausend Fragen und ich antwortete lallend, stets bemüht meine Entzugserscheinungen zu verbergen. Ich bekam das EKG angeschlossen, wurde gründlichst untersucht, die Medikation wurde festgelegt und dann verließen sie mich auch schon wieder. Alles 20 Minuten kam jemand von der Pflegerei herein, weckte mich und sah sich meinen Zustand an. Das hängt damit zusammen, dass es viele Alkoholiker gibt, die sich schon mit Suizidalgedanken beschäftigt haben und/oder schon versucht haben sich von dieser Welt zu befördern. Als ich zwei, drei Tage später aufstehen konnte und mich wankend zum Raucherzimmer begeben wollte, ging ich an der Kaffeeküche vorbei und wollte mir eine Tasse Kaffee holen. Ich war nicht in der Lage mir einen Kaffee einzuschenken, so sehr zitterte mein Körper. Ja, mir schossen die Tränen in die Augen…. Nicht weil ich mir so leid getan habe, nein, ich habe mich vor mir selber zutiefst geschämt. Ja, ich war traurig und habe lange gebraucht anderen Menschen in die Augen schauen zu können. Mein Selbstbewußtsein war am Ende. Schuldgefühle waren auch so ein Thema, darauf möchte ich in einem anderen Kapitel zurückkommen. In dieser Kaffeeküche sprach mich dann ein Mitpatient an, er hieß einfach nur „Icke“. Icke war Berliner mit einer großen Klappe und einem noch größerem Herz. Der sagte:“Pass ma uff. Du brauchst Dir hier nich zu schämen. Weeste warum? Weil wir ALLE hier Säufer sind und fast alle ham jenauso jehampelt wie Du jetze, weeste. So, unnu komm, ick nehm den Kaffe und dan jehn wa in die Raucherbude.“ Dann nahm er den Kaffeebecher, der nur halb gefüllt war und ging vor, ich „hampelte“ also brav hinterher. Mit beiden Händen zitterte ich den Kaffee zum Mund und trotzdem lief mir das Gebräu auf das T-Shirt. Keiner hat gelacht. Keiner hat einen doofen Kommentar gemacht. Alle wussten was man durchmachte und alle haben geholfen wo sie konnten. Weil wir alle dasselbe Problem hatten. Icke und ich haben später noch lange zusammen in der Langzeittherapie zugebracht. Doch auch dazu mehr… Später. Ich bekam zum ersten Mal mit, wer so alles mit auf der Station war. Da gab es einen Arzt, einen Rechtsanwalt, einen Maurer, ein paar Rentner, ein Richter, ein paar Dauergäste, einen Koch, eine Sekretärin, eine aus einer Bank…. und mich. Alle sozialen Schichten waren vertreten. Und wir hatten eines gemeinsam: Wir waren alles Alkis. Säufer der schlimmsten Sorte, mal gesellschaftlich geschrieben. Wir wurden unregelmäßig in die Pflegerei gerufen um uns pusten zu lassen, Kontrolle muss sein. Wir konnten essen wann wir wollten, zusätzlich zu den drei Mahlzeiten, an denen die Teilnahme Pflicht war. Ob man was essen wollte oder nicht. Alkoholiker neigen zu Appetitlosigkeit, da sie normalerweise das, was man essen konnte auch in flüssiger Form zu sich nehmen konnte. Aber mit der Zeit kommt der Hunger und Appetit wieder.
Nach einer Woche der Eingewöhnung gab es dann die erste Stufe der Entwöhnung. Ein geregelter Tagesablauf: Aufstehen, Frühstücken, pusten gehen, Tabletten unter Aufsicht nehmen, Morgenrunde mit therapeutischer Begleitung, Terminverteilung, Spaziergang, Mittagessen, Tabletten nehmen, Pause, Freigang in Begleitung von Mitpatienten, pusten gehen, Einzelgespräche, Abendessen, Pillen nehmen, Abendrunde mit therapeutischer Begleitung, Bettruhe. Zwischendurch weitere Untersuchungen der inneren Organe -insbesondere Leber und Nieren, Bewegungstherapie etc….
Die Krankenkassen bezahlten diese Art der Entgiftung 4 Wochen lang, danach wurde man normalerweise wieder entlassen. Die meisten, die nach der qualifizierten Entgiftung nach Hause entlassen wurden kamen mit 80 bis 85 prozentiger Sicherheit bald wieder. Die Rückfallquote war und ist sehr hoch. Mittlerweile hatte der Sozialdienst sich um eine Entwöhnungstherapie für mich bemüht. Das bedeutet: Ein Alki, der entgiftet hat, ist entgiftet. Nicht mehr und nicht weniger. Ist er deswegen nicht mehr süchtig? Er hat als keinen Alkohol oder seine Rückstände mehr im Körper. Physisch ist er clean. Jedoch sind die allerwenigsten in der Lage nach der Entgiftung trocken zu bleiben und manche wollen es auch gar nicht. Wie sieht es aber mit der psychischen Abteilung des Alki´s aus? Keinesfalls ist er auch im Hirn trocken. Auch meine Gedanken kreisten ständig um Alkohol, dem Stoff der berauscht, der lustig macht, der beruhigt….. Suchtdruck entsteht (auch heute noch in bestimmten Situationen) im Kopf. Und wenn man nicht gelernt hat mit dem Suchtdruck umzugehen, landet man schneller auf der Intensivstation als man eigentlich möchte.

Lieber Leser, stellen Sie sich doch mal vor Sie fahren jeden Tag mit dem Auto eine 10 KM lange Strecke zu Ihrem Arbeitsplatz. Tagein, tagaus. Und zurück. Natürlich nehmen Sie, die für Sie angenehmste Strecke. Jetzt ist diese Strecke erstmal gesperrt und Sie müssen einen Umweg fahren der nochmal 10 KM mehr für Sie bedeutet. Das heißt, Sie müssen früher losfahren, damit sie pünktlich an Ihrem Arbeitsplatz sein können.
Genauso sieht es im Kopf eines Süchtigen aus. Jahrelang drehte sich alles nur um den Alkohol. Jahrelang trainierte er sich mit System zu betrinken. Er entwickelte Strategien um heimlich trinken zu können. Diesen Weg des Alkohols professionalisierte er, jahrelang. Nun soll es von jetzt auf gleich ohne Alkohol gehen? Draußen in der realen Welt und nicht mit der schützenden Glocke in der man sich auf der Station befand? Von jetzt auf, gleich ohne eine vernünftige Strategie? Freunde, das geht schief. In den meisten Fällen.
Nachdem also auch meine Zeit gekommen war und ich mich mitten in einer alkoholischen Depression befand, fand mein Entlassungsgespräch statt. Man eröffnete mir, dass ich schon vor meinen Eskapaden an einer Depression litt. Man müsste mich dennoch entlassen. Auf meinen Einwand hin, dass ich es wahrscheinlich nur bis zum Bahnhof schaffen würde und da die nächste Kneipe wäre und noch andere vernünftige Gründe hatte, die ich vorbrachte, steckte das Ärzteteam die Köpfe zusammen und beriet meinen Fall noch einmal. Das Ergebnis war, dass ich auf eine halbgeschlossene Abteilung der Psychsomatik verlegt wurde. Erstens um meine Depri zu behandeln und zweitens um mir einen geschützten Aufenthalt zu ermöglichen bis die Bewilligung zur Langzeittherapie eintraf. Das dauerte weitere 3 Wochen. Zusammen mit anderen Alki´s und Konsumenten anderer illegalen Substanzen. Und halbgeschlossen hieß, wir konnten zwar nach Erlaubnis raus aus dem Haus, aber kein Fremder (Dealer, Boten etc) hinein. Die Kontrollen waren streng, trotzdem schafften es immer wieder welche irgendwelchen Stoff auf die Station zu schmuggeln. Wenn man sich an die Regeln hielt, passierte nichts Schlimmes. Tickte man aus, gab es Möglichkeiten wieder Ordnung zu schaffen. Ich habe es gesehen und es sah nicht wirklich nach Kuscheln aus. Ich nahm meine Medi´s und kam in eine „Egal“-Stimmung. Therapiegespräche, Anwendungen aller Art und Einzelgespräche kamen und gingen. Und dann die erlösende Mitteilung, dass die Rentenversicherung der Langzeittherapie zugestimmt hatte und der nächste Schritt in Richtung „Neues Leben“ konnte beschritten werden.

Eine alkoholische Depression bedeutet, man fällt in das depressive Loch, weil sich das ganze Leben um das Beschaffen und Verzehren von Alkoholika dreht. Arbeit, Familie und anderes gerät in den Hintergrund. Da geht eine Menge Zeit drauf. Auf einmal fällt der Punkt Alk weg. Was bleibt ist eine Menge Zeit zum Nachdenken. Grübeln. Verzweifeln. Ohne Hilfe wird auch das nichts, denn ohne Lösungsansätze kann das sehr gefährlich werden. Hatte man vor der Säuferkarriere schon eine Depression, kann diese sich noch viel schlimmer auswirken. Saufen ist schon keine gute Idee. Depression (möglichst noch in Verbindung mit Suizidgedanken) ist die schlechteste Kombination, die sich jemand vorstellen kann.

Die Leber – eine kleine Aufklärung…

Das Selbstdiagnosebuch vom Weltverlag hilft bei diesem Thema nicht wirklich weiter, dort kommt man allenfalls bis zur Fettleber. Schauen wir etwas genauer hin:

Mal abgesehen davon, dass der Alkohol nahezu alle Teile des Körpers in Schutt und Asche legen kann, ist die Leber die letzte Bastion welche bei Alkoholabusus (Abhängigkeit) fällt. Nur mal nebenbei, Alkoholmißbrauch kann sogar die Frisur verändern. Indem er nämlich in Produktion und Abbau des Sexualhormons eingreift, welches übrigens auch für den Haarwuchs zuständig ist.

Die Leber ist praktisch gesehen der Partylöwe unter den inneren Organen, den sie macht für eine lange Zeit den alkoholischen Schabernack mit. Dabei hat sie eigentlich auch ohne Alk den ganzen Tag eine Menge zu tun, ist sie doch unser innerer Wertstoffhof für sämtliche anderen Zufuhren. Sie braucht für ihre Arbeit die höchste Energiezufuhr und ist das bestdurchbluteste innere Organ. Neben dem Gehirn. Ich möchte mal aufzählen welche Aufgabe sie im Körper erfüllt:

Speicherung von Vitaminen, Kohlehydraten und Fetten,
Entgiftung bzw. Entsorgung von Giften,
Bildung der Galle,
Eiweiß-, Kohlehydrat und Fettstoffwechsel

Von ihr sind alle abhängig: Das Immunsystem, die Fingernägel, der Hormonhaushalt und das Oberstübchen, somit auch die Gemütsverfassung.

Dauert der alkoholische Schabernack an, geht sie in die Knie. Und weil sie eine Menge ab kann, wird sie nie Schmerzen signalisieren. Und das wiederum ist der Grund, dass Erkrankungen der Leber eher zufällig oder sehr spät entdeckt werden.
Ist die Leber überfordert von der Menge an Alk, vernachlässigt sie zuerst den Fettabbau um sich besser auf die Entsorgung von Gift zu konzentrieren. Im Umkehrschluss bedeutet das, das die Leber das Fett zwischen den Leberzellen stapelt. Ergebnis: Leberschwellung, dann Fettleber. Allerdings reicht es um eine Fettleber zu erhalten auch, wenn man kohlenhydrahtreiche Fettfresserei betreibt oder sich mit bestimmten Medikamenten zudröhnt. Aber da wir gerade beim Thema Alk sind, bleiben wir auch dabei. Eine Fettleber kann sich zurückbilden, wenn man sich abstinent verhält und die Schweinerippchen mit Salat tauscht.

Lässt man sie jedoch nicht regenerieren, kann die nächste Stufe zünden, die Alkoholhepatitis, diese Leberentzündung gibt es in den Modellen Akut, Persistierend (hartnäckig) und Chronisch. Wie gesagt, völlig schmerzfrei, Symtome sind lediglich Druck- und Völlegefühl im rechten Oberbauch, Antriebslosigkeit und Leistungsminderung und kommt bei mindestens 80 bis 90 Prozent aller Trinker vor.
Bei der akuten Leberentzündung überleben bei absoluter Abstinenz 80 Prozent die nächsten 7 Jahre. Das ist Fakt. Symptomatik hier: Erbrechen, Übelkeit, Appetitlosigkeit, Gelbsucht, Fieber, Schläfrigkeit.
Bei allen Entzündungen der Leber sterben Zellen ab. Zellen die so wichtig für das Überleben des Menschen sind.

Zum Schluss kommt noch die Zirrhose. Bei dieser sterben die Zellen in Massen ab und an ihrer Stelle bilden sich Narben, Knötchen und funktionsloses Bindegewebe. Das Blut kann nicht mehr in die richtigen Bahnen fließen und schießt nach hinten und oben durch die Adern zurück, anstatt durch die Pfortader ins Herz zu gelangen. Folge: Pfortaderhochdruck. Es bilden sich Krampadern in den Venen der Speiseröhre. Wenn diese einreisst… gute Nacht, dann wird Blut gekotzt. es kann aber auch sein, dass freie Flüssigkeit, wie z. B. Galle in den Bauchraum gepresst wird. Der Bauchumfang nimmt zu und das Ganze nennen wir Aszites.
Da die Entgiftungsfunktion nur noch eingeschränkt tätig ist wandern giftige Substanzen wie z. B. Ammoniak (fällt bei Abbau von Proteinen an und wird normalerweise von der Leber entsorgt) direkt ins Oberstübchen und giften sich dort aus. Folge: Konzentrationsstörungen, Verschlechterung des Kurzzeitgedächtnisses, Einschränkung des logischen Denkens, Bewußtlosigkeit und Koma. Kurz Ballaballa. Klingt hart, ist aber so.

Im Übrigen ist die Zirrhose nicht heilbar, allenfalls zu stoppen und sollte man dann nicht langsam über Abstinenz nachdenken… Dann war´s das. Ein zweites Leben ist nicht drin.

So, bis hier erstmal die Leberfunktion hoffentlich verständlich erklärt.

Im nächsten Beitrag geht es nicht so wissenschaftlich zu, eher möchte ich generell etwas über diese Krankheit der Sucht, Folgen der Sucht, Lösungswege und allgemeine Gedanken schreiben.
Mit diesen Blogbeiträgen möchte ich keinesfalls irgendwen frei von Schuld sprechen, so er/sie sich etwas zuschulden hat kommen lassen. Jeder ist für sein Handeln und Tun verantwortlich.
Allenfalls möchte ich die Krankheit und deren Verlauf erläutenr und ggf. erklären.

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Entgiftung in der qualifizierten Klinik und wie ich doch nicht sterben wollte.

Entgiftung in der qualifizierten Klinik und wie ich doch nicht sterben wollte.

Ich wurde in eine Einrichtung gebracht, in der eine qualifizierte Entgiftung angeboten wurde. Den Unterschied zwischen einer Entgiftung und einer qualifizierten Entgiftung möchte ich kurz erläutern.

Normalerweise ist es so, dass unser Körper den Alkohol relativ schnell abbauen kann. Bei einem normalen Konsum. Spiegeltrinker, wie ich einer war und die einen ständigen Spiegel zwischen 2 und 4 Promille im Blut haben, unterliegen, wie schon beschrieben, anderen Umständen und sind beim Entzug anderen Gefahren ausgesetzt. Deswegen gibt es eine qualifizierte Entgiftung, in welcher im besonderen Maße auf die Patienten geachtet wird in Begleitung des psychologischen Dienstes und einem sozialen Dienst obendrein. Die Betreuung ist intensiver als wenn man in einem normalen Akutkrankenhaus entgiftet. Und wesentlich kostenintensiver.

Der „normale“ Mensch, gesund, ausgeglichen und psychisch stabil reibt sich nach einem Gelage kurz die Schläfen, schmeißt eine Aspirin ein, je nach Katerstärke, dazu eine Tüte Salzbrezeln, ein paar Liter Wasser und wendet sich der spröden Tagesordnung zu. Amateure eben.
Profis, wie ich einer war, reagieren bei einem Entzug wie bei einer Lebensmittelvergiftung.
Der niedrigdosierte Spiegeltrinker hat am Anfang noch nie so richtig über die Stränge geschlagen und womöglich hatte der noch nicht einmal einen echten Rausch. Trotzdem ist jeder Spiegeltrinkerkörper mit plötzlichem Abbau der gewohnten Dosis mal so gar nicht einverstanden und verlangt nach seinem Stoff. Diese Dosis variiert von Mensch zu Mensch. Nehmen wir mal die sprichwörtliche Oma, die dauerhaft ihren lumpigen Fingerhut Sherry trinkt, über den Dachdecker, der erst mit 1,9 Promille auf seinen Dachfirst kommt, bis hin zur Hausfrau mit ihrem morgendlichen Mittags- und Abendpiccolöchen. Alle Spiegeltrinker sorgen dafür, dass ihr System gleichbleibend versorgt wird. Das reicht ihnen aus und mehr muss auch nicht sein. Deswegen können sie jahrelang ohne sozial auffällig zu werden, ihren Verrichtungen nachkommen. Kommt aber jetzt etwas dazwischen, also unsere sprichwörtliche Oma bekommt einen Oberschenkelhalsbruch (zum Beispiel) und braucht ihren täglichen Klosterfrau…. Ja was dann? Dann wird nicht schlecht gestaunt, wenn Omi voll auf Turkey ist und es wird gefragt:“Omama, trinken Sie etwa?“ Und dann muss der Krankenhausseelsorger gerufen werden, der der Oma beibringen muss, dass sie drogenabhängig ist… Ihr seht also, es kann jeden treffen.

Wo wir gerade von „es kann jeden treffen“ sprechen. Das größte Schreckgespenst bei Entzügen ist der eleptoide Krampfanfall. Dieser kann jeden treffen, es spielt keine Rolle ob man schon die AOK-Plakette für die 100ste Entgiftung bekommen hat oder niedrigdosiertes Spiegeltrinken betreibt. In der wundersamen Welt des Alkoholismus ist alles möglich. Alkohol ist nicht wirklich auch nur ansatzweise berechenbar. Demzufolge kommt Delirium und Krampfanfall nicht nur bei Schwerstabhängigen vor, sondern eben auch bei minderschweren Fällen. Schnöde Fakten gefällig? Bitteschön: kurzandauernder, aber lebensbedrohlicher Zustand der Bewusstseinstrübung mit lebhaften Halluzinationen, Angst, Unruhe und/oder Wahnvorstellungen und erlebte Albträume.
Die gute Nachricht:
Etwas Haldol kann diesen Zustand beheben.

Die schlechte Nachricht:
Man landet wahrscheinlich längerfristig auf der geschlossenen Abteilung.

Die schlechteste Nachricht:
Schlägt Haldol nicht an, hat man sich höchstwahrscheinlich schon eine Psychose angesoffen, soll heißen, die Halluzinationen sind länger zu Gast, als man sie gerne haben möchte und das ist sehr schwer therapierbar. Es gibt aber auch eine

halbgute Nachricht für den Trinker als Solchen und soll keineswegs eine Entwarnung darstellen:
Die chronische Psychose trifft wesentlich häufiger Konsumenten von Pillen, Cannabis und Pilzen.

Also bitte, ein Profitrinker schafft den Entzug nicht mehr mit Aspirin und Heringsdipp. Da muss professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden.

Und by the way, bei Sedierung sinkt auch das Krampfrisiko und auch dafür gibt es mittlerweile Medikamente, die nicht abhängig machen, dementsprechend findet dann auch keine Suchtverlagerung statt. Zumindest nicht in der Engiftungsphase.

Im nächsten Artikel geht es um einen Schwerstarbeiter im Körper, der Leber. Und um meine Erfahrung auf Station.

In diesem Sinne

Lesen wir uns?
freric

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Wie ich zum Säufer wurde….. TEIL 2

Wie ich zum Säufer wurde….. TEIL 2

Ich darf mich erst einmal bedanken. Danke an die Leser, die den ersten Teil gelesen haben, kommentiert haben -nicht nur hier, sondern auch auf Twitter- und mir zu verstehen gegeben haben diese Blogreihe zu diesem Thema weiter zu schreiben. Herzlichen Dank, ich hatte nicht damit gerechnet.

Gestern habe ich angefangen meine Geschichte zu erzählen. Sie geht noch weiter. Im Internat hatte ich ersten Kontakt zu alkoholischen Getränken. Nach Beendigung der Schulzeit begann ich eine Lehre als Hotelfachmann und Koch. In der Ausbildung lern man eine Menge über Bier, Wein und Schnaps in Theorie und Praxis, dazu wird ein fundiertes Wissen über Cocktails vermittelt. Ich beendete die Lehre mit Erfolg, machte meine Prüfungen und….. ging ins Kloster. Wer mehr über Klostergeschichte gestern und heute erfahren möchte, auch hierüber gibt es reichlich im Blog zu lesen. Alkohol spielte mittlerweile ein Rolle, jedoch keine auffällige im klinischen Sinne. Mein regelmäßiger Konsum ist mir schon aufgefallen, ich habe mir nichts weiter dabei gedacht. Wie auch, tranken die Mitbrüder auch abends in der Klausur ihren Wein oder Bier. Im Laufe der Jahre steigerte sich der Konsum und als ich in Passau aus dem Orden austrat und in eine eigene Wohnung zog, arbeitslos war, war ich fast schon Stammgast in der örtlichen Kneipe im Ort. In Bayern. Nicht, dass ich jeden Tag voll war, bettschwer schon eher. Ich möchte nicht verschweigen, dass ich in der Zwischenzeit meine leibliche Mutter ausfindig gemacht habe, sie besucht habe und den Kontakt schnellstens wieder beendet habe. Das einzige Positive an der Suche war, dass ich meine leibliche Schwester kennen lernen durfte, jedoch auch ihr Kontakt zu mir wurde unterbunden, bis wir uns wiedergefunden haben sollte es einige lange Jahre dauern. In Passau gab es zu Winterzeiten nur wenig Tourismus und dem zu folge auch keine Arbeit. Der Jobvermittler des Arbeitsamtes schlug mir vor, im Frühjahr auf einem Schiff zu arbeiten. Damals war mir nicht ganz klar, was er genau damit meinte. Ich dachte, dass es sich um ein Ausflugsschiffchen handelt, auf welchem Dosenwürstchen im Brötchen mit Senf auf Papptellern verkauft wurden. Ich sollte mich eines Besseren belehren. Das Schiff hieß romantischerweise „MS Donauprinzessin“, war ein Hotelschiff für 160 Gäste im 4 Sterne Bereich und fuhr die Strecke Passau – Budapest – Odessa und zurück. 7 bis 8 Monate im Jahr, ohne einen freien Tag. Das war Arbeit pur. Strenges Regiment an Bord, Fehler wurden nicht geduldet. Dort habe ich gelernt was Arbeit ist. Nach Feierabend saß man in der Messe (Speiseraum auf Schiffen), und aß und trank was eben da war. Bier, Schnaps und andere Getränke eben. In der christlichen Seefahrt wurde schon immer gesoffen und auch heute noch gehe ich davon aus, dass auf Kreuzfahrtschiffen 60 bis 70 Prozent der Besatzung regelmäßig Alkohol trinken (täglich) UND ein mehr oder weniger schweres Alkoholproblem haben. Oder kennt Ihr einen Shanty, der nicht von Gold und Rum und betrunkene Matrosen handelt? Seht Ihr! Ja, und ich war dabei. Dadurch, dass wir auf der Donau fast jeden Tag Landgang haben konnten waren wir alle in der glücklichen Lage ab Budapest günstig an Alkohol und Zigaretten zu kommen. Es verging kein Tag wo wir nicht gesoffen haben. Mal mehr und mal (der Gesundheit wegen) weniger. Ein paar Jahre habe ich das auf der Donau gemacht, dann wurde ich abgeworben und bot mir einen Vertrag auf große Fahrt zu gehen. Also vom Fluß auf´s Meer. Wer mehr von meinen Schiffsgeschichten lesen will, kann sich ja meine Blogeinträge dazu anschauen. Es waren tolle Reisen, einmal um die ganze Welt. Es war anstrengend. Es war lustig. Und es wurde sehr viel getrunken. Um die Kosten brauchte ich mich nicht zu kümmern, an Bord war es für die Crew immer günstig. Kein Tag verging im Laufe der Zeit an dem ich nicht trank. Ich fand jeden Tag einen Grund zu trinken. Das ist das tückische daran. Es sollte irgendwann mein Untergang sein.

„Heute ist ein schöner Tag, komm wir trinken erstmal ein Bier!“
„Ich habe Geburtstag, kommst Du auf die Party nachher?“
„Ich habe Landgang!“
„Die anderen trinken doch auch um 11:00h vormittags ihr erstes Bier!“
„Frühstück! Prost!“

Das allergeilste daran ist, man glaubt den Scheiß auch noch. Man redet sich etwas so lange ein, um sich vor sich selbst zu entschuldigen, dass man schon wieder am Saufen ist. Mir kann keine Alki sagen, er hätte nicht gewusst, dass er süchtig ist. ER WEISS ES IMMER. Er gibt es sich gegenüber -und schon mal gar nicht anderen gegenüber- nur nicht zu. Das allerdings gehört zur Alkoholkrankheit dazu. Der Alki geht IMMER davon aus, dass er sofort aufhören kann. Das klappt allerdings nur in den seltensten Fällen und dann darf die Abhängigkeit auch noch nicht zu weit fortgeschritten sein. Damit meine ich nicht nur die körperliche Abhängigkeit sondern auch die geistige.
Es ging einige Jahre gut bis, ja bis…. ich merkte, dass ich ohne Schluck nicht mehr richtig funktionierte. Ich fing an zu zittern, konnte nicht klar denken. Sobald ich etwas trank verschwand das Zittern, ich konnte arbeiten und blitzschnell denken. Das nennt sich „Spiegeltrinken“ ohne diesen Spiegel/Level ist an normales Leben nicht zu denken. aber auch das ging gut bis…. ja bis ich eines Tages so stark entzügig war, dass ich es nicht mehr verheimlichen konnte. Das Schiff war Gott sei Dank in Hamburg und ich verlor meinen Job.
Darauf trank ich erstmal einen, bis ich wieder klar denken konnte. Und realisierte erst dann, dass ich meinen Job versoffen habe. Ich verfiel in Selbstmitleid und zwar volles Programm. Ich war sauer auf die Firma, auf das Leben, auf alles andere, nur nicht auf mich. Ich zeigte ständig auf andere Leute, alle waren schuld an meiner Misere, nur ich natürlich nicht.
Der Schwerstabhängige ist nicht in der Lage aus seiner Situation alleine heraus zu kommen. Ich trank mittlerweile 3 Flaschen Wodka am Tag. Jeder normale Mensch würde bei dieser Menge tot umfallen. Man sieht also wieviel ein Mensch bei guter Konditionierung vertragen kann ohne zu versterben. Doch zur biochemischen Abteilung komme ich später noch zurück.
Dieses Trink- und Suchtverhalten legte ich noch gut 2 Jahre an den Tag und hielt mich mit regelmäßigen Nebenjobs so gut es ging über Wasser. Jobs, bei denen es egal war, wieviel ich trank. Jobs bei denen mich auch niemand sah, wenn ich trank. Zum Beispiel Zeitung tragen. Mitten in der Nacht. Gartenpflege wenn die Eigentümer nicht im Haus waren. Ich trank immer heimlich. Morgens, mittags, abends, nachts um meinen Spiegel aufrecht zu halten, Ohne ging es nicht.

Bis hier erstmal, ich brauch ´ne Pause.
Das nächste Mal schreibe ich Euch was man so im Delirium erleben kann. Spannende Sache das, wenn auch nicht zum Lachen.


Man liest sich?

freric

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